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Einen drauf machen mit China / Se péter avec la Chine – L'!NSENSÉ
Bienvenue sur la nouvelle scène de l'!NSENSÉ
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Einen drauf machen mit China / Se péter avec la Chine

Le Gymnase du Lycée Mistral est un lieu tout à fait bien adapté à la pièce Ping Pang Qiu d’Angélica Liddell, présenté dans le cadre du 67e Festival d’Avignon. Au milieu de la scène qui reste visiblement un gymnase sportif se trouve une table de ping-pong. Cet image mélange la mise en scène artificiel avec le monde réel déjà avant que la pièce commence. Et pendant la pièce on sera en continuation rappelé à que ce que semble impossible, parce que inhumain, peut être réalité. Liddell n’est pas Snowden. Elle ne nous dévoile rien. Plutôt elle compose des faits connues, pas moins terrifiants, dans une forme de textes et images et crée ainsi une sorte de poésie documentaire. Ceci rend expérimentable les faits communiqués dans des articles de presse. Un conte noir de la vérité. En plus de ça, et parce qu’on est chez Angélica Liddell, il ne s’agit pas du théâtre politique mais d’une déclaration d’amour.
// Das Gymnase du Lycée Mistral ist ein wahrlich passender Ort für Angélica Liddells Ping Pang Qiu. In der für das 67e Festival d’Avignon zum Theaterraum umfunktionierten Turnhalle steht mitten auf der Bühne eine Tischtennisplatte. Wo hört die Wirklichkeit auf und wo beginnt die Inszenierung, das Unechte? Angesichts der im Stück behandelten Thematik wird man in den kommenden eineinhalb Stunden immer wieder daran erinnert dass unmöglich (weil unmenschlich) Scheinendes wahr sein kann. Dabei handelt es sich nicht um politisches Theater sondern um eine Liebeserklärung.

An besagtem Ping-Pong Tisch sitzt also Angélica Liddell ihrem Kollegen Fabián Augusto Gómez Bohórquez gegenüber und flink wie in einem meisterhaften Tischtennismatch fliegen ihr seine Fragen zu, die sie präzise beantwortet. Es gibt kein Ausruhen. Sobald die Darsteller erschöpft den Kopf auf die Spielplatte legen schrecken sie auch schon wieder auf und das Spiel geht weiter, mit Disziplin und Ausdauer. Es geht freilich nur in Nebensätzen um Ping-Pong. Eher geht es um die Ping-Pong diplomacy, den Begriff der eine Politik beschreibt die diplomatisches mit barbarischem vereinte um die chinesische Kulturrevolution stattfinden zu lassen. Und eigentlich geht es um Liebe. Liebe zu China. Jedenfalls ist es das, was Lidell mit ihrem Stück Ping Pang Qiu auf die Bühne bringen will. Und an ihrer Liebe ist nichts zu rütteln beteuert sie. Auch wenn sich China zu lieben als sehr sehr schwierig herausstellt. Das erklärt uns Lidell und beweist es szenisch.
Im Verlaufe des Verhörs am Ping-Pong Tisch sagt sie, und wiederholt bis zur Erschöpfung, dass sie eine sei die sich der Welt des Ausdrucks widme. So definiert sie sich selbst und das Theater, ihren Arbeitsplatz. Was tun in einem Land das, ganz im Gegenteil zu Liddell, permanent gegen den Ausdruck und die Äußerung des einzelnen arbeitet? Menschen die sich wie sie vollständig und öffentlich dieser Aufgabe verschrieben haben können dort nicht existieren. Sie erzählt uns damit nichts neues, wir wissen außerdem dass die Zensur nicht nur Künstler betrifft sondern bis in den privatesten Raum greift. Was wir in Zeitungen lesen wird uns heute also dargestellt.
Wir sehen jenes Video in voller Länge, von dem meist nur ein Ausschnitt zu sehen ist: Einer stellt sich vor heranrollende Panzer und hält den Zug tatsächlich einstweilen auf. Auf der Bühne werden seine Bewegungen gedoppelt, sie werden unermüdlich weiter ausgeführt noch nachdem im Video besagter Mann bereits von Männern in Zivil abgeführt wurde. Die Choreographie auf der Bühne aber geht weiter, rebelliert gegen eine leere Leinwand und hält nichts auf.
Wiederholt nehmen Liddell und die drei Darsteller die sie auf der Bühne begleiten jene Position ein mit welcher Künstler, Intellektuelle, Lehrer, gemeine Bürger öffentlich gedemütigt werden: vornüber gebeugt, die Arme hinter dem Rücken verschränkt und über den Kopf nach oben gestreckt. Mit einem albernen Hut aus Papier auf dem geschrieben steht weshalb derjenige in Ungnade fiel.
Liddell ist nicht Snowden. Sie enthüllt uns nichts. Sie bringt vielmehr bekannte, aber nicht minder erschreckende Tatsachen in eine ihr eigene Form aus Texten und Bildern und schafft so eine Art dokumentarische Poesie, welche die Tatsachen erfahrbarer machen als Presseartikel. Ein Schauermärchen von die Wahrheit.
Dabei scheinen die Bilder welche Liddell mit ihren Darstellern und Requisiten kreiert durch und durch symbolisch zu sein. Leseweisen drängen sich teilweise geradezu auf. Eine Ballwurfmaschine für Ping-Pong-Bälle arbeitet monoton und ausdauernd, doch sie schießt ihre Bälle ins Leere. Einer der Darsteller, Sindo Puche, trägt ein Kostüm aus langhaarigem Fell (man klärt uns auf dass Mao „Haar“ heißt), er ist mit Abstand der größte der vier Darsteller und verbringt die meiste Zeit in scheinbar unbeteiligtem Schweigen, während der auffällig kleine Gómez Bohórquez sich in Parteiuniform mit langen Monologen und allerhand Aufgaben abmüht. Permanent ist die Bühne in rotes Licht getaucht, alles was sich darauf befindet wird in rot getaucht, es gibt weder für Darsteller noch für Requisiten ein Entkommen vor der rötlichen Färbung. Selbst der Zuschauer gewöhnt sich an die Farbe des Lichts, Rot ist unausweichlich die Farbe der Gegenwart und man stört sich nach einer Weile der Gewöhnung nicht einmal mehr daran.
Gleich zu Anfang stellt Liddell klar: politische Unterhaltungen zu führen ist nicht das Ziel dieses Abends. Hierzulande ist nichts einfacher als politische Unterhaltungen zu führen, deshalb mache das auch allen so viel Spaß. Aber um Spaß geht es hier kaum, und einfach sieht Liddell nichts.
Oder doch, denn es sei „Nichts leichter als einen Künstler zu verspotten“ wie sie sagt. Und darüber gerät sie ein weiteres mal in Rage. „Wir werden zu Clowns!“ zetert sie, und fügt hinzu in China seien die Gefängnisse voller Clowns. Tatsächlich hat die Verzweiflung Liddells etwas Komisches. Wie sie aufspringt, wild gestikuliert und dabei ihre türkisfarbene Perücke schüttelt, sich in ihrer im Nichts verhallenden Anklage und unter großer physischer Anstrengung wiederholt und wiederholt bis zur absoluten Erschöpfung… keiner wird sie hier dafür einsperren. Manch einer amüsiert sich gut. Manch anderem bleibt wohl auch das Lachen im Hals stecken. Denn wer sich auf die dokumentarische Ebene dieser Inszenierung einlässt, wer die Gewissheit zulässt dass all das was hier erzählt wird die Wahrheit ist, der verzweifelt mit Liddell. Vier spanische Künstler und ein west-europäsisches Publikum vor dem Problem China zu lieben – mich überkommt bei diesem Gedanken plötzlich ein ungutes Gefühl der Lächerlichkeit. Was ist damit anzufangen. Scham über die eigene privilegierte Position? Zorn über das chinesische Unrecht? Damit allein ist freilich auch keinem geholfen. Was bleibt ist also Beklemmung.
Ich liebe China. Der Haut wegen. Ich möchte von China geliebt werden, gerade weil das unmöglich ist. Das sagt Lidell und es drängt sich die Frage auf ob man gerade Zeuge einer theatralischen Selbstdarstellung ist, bei der China eine passive Position zugeschrieben wird an der sich ein leidende Künstlerseele abarbeitet. Ist dies die Inszenierung der unmöglichen, der leidenschaftlich Liebe einer hemmungslos selbstzerstörerischen Angélica Lidell? Ja, kein Zweifel. Vor allem nicht nachdem man die zweite Inszenierung gesehen hat, die Liddell dieses Jahr in Avignon präsentiert, Todo el cielo sobre la tierra (El síndrome de Wendy).Versteht sich Angélica Liddell zudem als Botschafterin eines Landes das seiner kulturellen und menschlichen Identität beraubt wurde und wird? Offensichtlich auch das. Und selbst wenn man sich am exzessiv autodestruktiven Narzismus stören mag, das Botschaften für China gelingt trotzdem oder gerade weil es die intime Liebeserklärung dieser Frau ist.
Bloß der Poesie räumt Liddell die Fähigkeit Leid zu überwinden ein. So soll an „der einzig schönen Stelle dieses Stücks“ wie sie sagt, eine chinesische Musikerin auf einem Stuhl im Scheinwerferlicht Platz nehmen und spielen, die Schauspieler andächtig lauschend. Keine Erklärungen mehr und keine Verzweiflung. Nur noch ein Zitat aus einem in China verbotenen Buch, und dann Musik. „La liberté ne se donne pas, elle est plutôt ta propre conscience de la vie, le délice de ta vie; goûte à cette liberté, comme à la jouissance que t’apporte l’amour physique avec une belle femme. N’est-ce pas la même chose?“ (Le Livre d’un homme seul, Gao Xingjian, Nobelpreis für Literatur 2000). Also physische Liebe und Poesie als Stellvertreter der Freiheit. Was niedergeschrieben pathetisch klingen mag funktioniert an dieser Stelle des Stücks und man ist bereit für ein wahres Bild der Hoffnung.
Doch der Stuhl bleibt leer. Aus Angst vor Konsequenzen die eine Mitarbeit im Kollektiv mit sich bringen könnte, welche einer kritischen Haltung zum eigenen Staat und somit im wahrsten Sinne des Wortes lebensgefährlich wäre, entschloss sich die Musikerin gegen einen Auftritt mit Liddell. Die Zensur reicht bis auf die Probebühne in Madrid. Und heute ist sie zu Gast in Avignon. Wir werden des Bildes der Hoffnung beraubt.
Orpheus verliert seine Liebste, Eurydike, weil er nicht länger den Blick von ihr abwenden kann. Das Buch in dem diese Geschichte stand wurde zu Anfang des Stücks zwar verbrannt, jetzt aber wird der Mythos wahr und schafft eine Lücke da wo die chinesische Kollegin und ihre Musik sein sollten.
Was bleibt zu tun? Wenn das Theater als Arbeitsplatz Liddells Vision nicht wahr werden lassen konnte mit einer Künstlerkollegin zu kollaborieren, so schafft es zumindest den Raum um eine Fiktion zu inszenieren. Um eine Idee für kurze Zeit, wenn nur auf symbolische Weise, wahr werden zu lassen und mit dem Publikum zu teilen. Und jetzt, nach all der Beklemmung, steht einem der Sinn nach einem Ventil. Es werden Instant-Nudeln mit Wasser aufgebrüht, man wartet für die Dauer eines Popsongs, und dann fliegen die Fetzen. Alle bedeutungsschweren Symbole und auch sonst alles wird durcheinander geworfen, Mao-Miniaturen mit Nudeln verziert, schäbig herumgeknutscht. Letzte Zigaretten werden geraucht. Nach wenigen Minuten befindet man sich auf der Afterparty eines rauschenden Fests. Der Schein trügt allerdings nicht, und die wirkliche Lücke dort wo die Musikerin aus China sein sollte, bleibt bestehen obwohl ihr Stuhl schon Teil des Chaos ist. Wenigstens hat man hier einen drauf gemacht, stellvertretend für das Freiheitsgefühl, und stellvertretend für China. Die Beklemmung nimmt man trotzdem mit beim Verlassen der Turnhalle.

Version du dimanche 25 septembre